Handreichung für Lehrende.
Partizipation bedeutet nicht nur die Verständigung über alles, was den Unterricht betrifft oder eine einfache Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip. Partizipation ist ein Raum, in dem den teilnehmenden Akteurinnen und Akteuren verschiedene Handlungsoptionen zur Verfügung stehen, aus denen sich die Beteiligten durch die gemeinsame Verständigung auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen.
Mayrberger verwendet den Begriff des “Partizipationsraumes” (vgl. Mayrberger 2012) Aus diesem leitet sich unsere Vorstellung eines “Handlungsraumes” ab. Dieser wird bestimmt durch Kenntnisse, Bereitschaft und Fähigkeiten der beteiligten Personen. Zusätzlich sind die Rahmenbedingungen (Hochschulgesetze, Prüfungsordnungen, Räumlichkeiten) ein entscheidender Faktor für die Grenzen des Handlungsraumes. Die Grenzen dieses Handlungsraumes sind variabel und lassen sich vor allem in Verbindung mit dem sogenannten “Scaffolding”-Ansatz, bei dem den Lernenden ein Orientierungsgerüst durch Lernanleitungen und andere Hilfestellungen angeboten wird, proaktiv positiv beeinflussen. (Eine detaillierte Beschreibung dieses Ansatzes folgt im nächsten Kapitel).
Abbildung 3: Individueller Handlungsraum
Jede Person hat einen eigenen Handlungsraum, der durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird. In Lehr-Lern-Gruppen existiert darüber hinaus ein gemeinsamer Handlungsraum, der durch die unterschiedlichen Kenntnisse und Fähigkeiten aller Beteiligten bestimmt wird. Partizipationsmöglichkeiten werden innerhalb des Handlungsraumes geschaffen. Partizipation, die außerhalb des Handlungsraumes Einzelner stattfindet, schließt diese aus. Wenn es für den Lernfortschritt notwendig ist, können die unterschiedlichen Wissensstände, Kompetenzen oder Motivationen auf den gleichen Stand gebracht werden. Das Ziel ist nicht, dass alle unterschiedlichen Handlungsräume deckungsgleich gemacht werden, sondern dass ein Bewusstsein für die einzelnen Handlungsräume geschaffen wird.
Abbildung 4: gemeinsamer Handlungsraum
Lehrende und Studierende sollten ihren eigenen Handlungsraum kennen und sich gemeinsam über den Handlungsraum des jeweiligen Lehr-Lern-Kontextes verständigen:
Alle Beteiligten sollten die Idee von Partizipation als Handlungsraum kennen. So können sie mögliche Schritte identifizieren, um ihren Handlungsraum zu vergrößern, wodurch mehr Partizipation möglich wird. Innerhalb einer Lehrveranstaltung hängt die Handlungsfähigkeit der einzelnen Individuen von unterschiedlichen Faktoren ab. Durch eine didaktische Planung, die Studierende versucht, in allen Fragen einzubeziehen, können die Lehrenden Lehr-Lern-Szenarien schaffen, die die Heterogenität der Studierenden und ihre damit verbundenen Bedürfnisse und Handlungsoptionen berücksichtigen. Die Dimensionen der Heterogenität erstrecken sich über soziale (Geschlecht, Bildungsherkunft, Lebenssituationen, Beeinträchtigungen), individuelle (unterschiedliche Voraussetzungen, Interessen etc.) und organisationale Aspekte (Studiengang und Fakultät) (vgl. StuFHe Studie: 56).
Eine Kombination aus den Rahmenbedingungen, den sozialen und strukturellen Bedingungen sowie dem Interesse, Verantwortung wahrzunehmen, öffnet den Handlungsraum der Einzelnen, innerhalb dessen sie agieren können. Wenn die Heterogenität der Studierenden wie auch der Lehrperson wahrgenommen und anerkannt wird, kann der gemeinsame Handlungsraum erweitert werden und eine Basis für gemeinsame Entscheidungsfindung entsteht. Das Ziel ist partizipative Lehre und dafür sollten alle Lehrenden wie auch alle Studierenden den eigenen Handlungsraum kennen und nutzen. Das Ziel ist partizipative Lehre und dafür sollten alle Studierenden und Lehrenden den eigenen Handlungsraum kennen und nutzen. Letztendlich soll es zu einer Gleichberechtigung bei wichtigen Entscheidungen bezüglich der Lehre kommen.
Dabei sehen wir studentische Partizipation als Möglichkeit, die Lehre für Lehrende und Studierende zu verbessern. Über Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zu sprechen, macht den Handlungsraum aller transparent und zeigt eventuelle Einschränkungen, wo Anliegen und Bedürfnisse übergangen werden, auf. An dieser Stelle ist es wichtig zu erkennen, dass sowohl Lehrende als auch Studierende gewisse Kompetenzen benötigen und entwickeln können, um den eigenen Handlungsraum zu erkennen und zu nutzen. Je mehr positive Erfahrungen Lehrende mit dem Abgeben von Verantwortung in ihren Lehrveranstaltungen gemacht haben, umso eher sind sie geneigt, die Studierenden frei entscheiden zu lassen und auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen. Gerade zu Beginn des Studiums lohnt es sich, mit Studierenden über ihren eigenen Handlungsraum innerhalb der Hochschule zu sprechen, da diese sich ihrer Kompetenzen nicht zwingend bewusst sind.
A. Überlege dir als Lehrperson vor Beginn der Lehr-Lernveranstaltung, ob du studentische Partizipation in deiner Veranstaltung “nur” ermöglichen oder den Prozess auch auf einer Metaebene besprechen möchtest. So können das Bewusstsein der Studierenden wie der Lehrenden für Partizipation und ihren eigenen Handlungsraum geschärft und Kriterien für Ihre spezifische Veranstaltung gemeinsam ausgehandelt werden. Solche Kriterien könnten sein: Kommunikationsregeln oder festgelegte Phasen für Reflexionsprozesse, da partizipative Prozesse regelmäßig geübt werden müssen, um Überforderung bei den Studierenden vorzubeugen.
B. Zunächst sollten inhaltliche und strukturelle Grundlagen der Veranstaltung gemeinsam erarbeitet werden. So können die Studierenden eine Expertise dafür herausbilden, Partizipationsmöglichkeiten wahrzunehmen.
C. Um die Handlungsräume für Partizipation zu öffnen, ist es sinnvoll, nicht die gesamte Lehr-Lern-Veranstaltung im Vorhinein fest zu planen, sondern noch Raum für flexible Anpassungen zu lassen.
D. Da die Gruppe der Studierenden sehr heterogen ist und die Studierenden unterschiedliche Bedürfnisse haben, ist es empfehlenswert, zu versuchen zu erfahren, welches Interesse die Studierenden bei der Belegung Ihrer Veranstaltung verfolgen und wie viel Engagement die Lehrperson erwarten kann. Für die Studierenden bietet das preisgeben ihrer Interessen die Möglichkeit die LEhrveranstaltung interessengeleitet mitzugestalten. Das "Kennenlernen" muss nicht immer in einer klassischen Kennenlernrunde stattfinden, sondern kann auch durch digitale Tools, wie das Ausfüllen eines digitalen Steckbriefs, unterstützend durchgeführt werden. Vielleicht gibt es gewisse externe Faktoren, die die Partizipationsbereitschaft der Gruppe oder Einzelner stärker beeinflussen. Diese gilt es zu erfahren.
Vorwort« 1. Was ist...?« 2. Handlungsraum» 3. Kontinuität» 4. Gemeinschaftsaufgabe» 5. Feedback» 6. Nähe, Identifikation & Vertrauen» 7. Abschluss, Unterstützer*innen und Quellen